Jubiläum 1975

Im Frühjahr 1975 waren die Studierenden der Universität Stuttgart-Hohenheim nahezu die einzigen in Baden-Württemberg, die den 450. Jahrestag des Deutschen Bauernkrieges würdigten, was sogar dem Spiegel ein Lob abrang. „Ausgerechnet die linkesten Studenten haben den bewusstesten Umgang mit der Geschichte“, schrieb das Hamburger Magazin. Und hier einige der Hohenheimer Highlights von damals.

Der Hohenheimer Frühling

war der Auftakt zum Gedenken an „eines der wichtigsten revolutionären Ereignisse unserer Geschichte“, wie damals im ASTA-Info zu lesen war. Und weiter hieß es da: „Der ASTA Hohenheim nimmt deshalb den 450. Jahrestag des Deutschen Bauernkrieges zum Anlaß, diesen Abschnitt unserer Geschichte näher zu beleuchten und – entgegen allen Verdrehungen durch die bürgeliche Geschichtsschreibung – auch das Verständnis für die Ereignisse dieser Zeit und für die heute z.T. noch immer gültigen Lehren daraus zu vertiefen“.
Besonders störte sich die Studentenschaft daran, dass sowohl von Seiten der landwirtschaftlichen Universität als auch von der Landesregierung (die heute 7,1 Mio € für Ausstellungen zum Bauernkrieg ausgibt) damals nichts unternommen wurde, um dem Jahrestag gerecht zu werden.
Der Blick auf den damaligen Kampf für Freiheits- und Demokratierechte beflügelte die Studierenden und der Liedvers „Wir Enkel fechtens besser aus“ wurde zum geflügelten Wort.

Hohenheimer Kultur

Kultur gehörte von Anfang an zum festen Bestandteil des geschichtlichen Erinnerns und der studentischen Politik: Ausstellungen, Lieder, Musik, Feste mit internationalen Künstlern, Filme und Theateraufführungen. Rechts ein Bild der Bauernoper, die vom Landestheater Tübingen im Innenhof der Universität aufgeführt wurde.
Das historische Gedenken an den Bauernkrieg stärkte auch das Selbstbewusstsein der Studierenden bei der Erkämpfung des Kommunikationszentrums und bei der Festlegung des Namens Thomas Müntzer Scheuer. Vor allem um den Namen musste heftig gefightet werden.

HAP Grieshaber dankt der Studentenschaft

Der international bekannte Holzschneider HAP Grieshaber dankte den Hohenheimer Studierenden für ihr Gedenken an den Deutschen Bauernkrieg und schenkte der Studentenschaft zahlreiche Holzschnitte, darunter „Für Jerg Ratgeb“ (s. Foto links) und weitere Originale zum Bauernkrieg, die heute noch in der Thomas Müntzer Scheuer hängen. Und er schreib am 27. Mai 1976, am Tag der Einweihung der Thomas Müntzer Scheuer, den Jerg-Ratgeb-Preis aus.

Jerg Ratgeb war ein Maler aus dem Schwäbischen, der sich für die Bauern einsetzte und nach dem verlorenen Bauernkrieg wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und gevierteilt wurde. Mit dem Preis wollte Grieshaber eine Kunst im Sinne Jerg Ratgebs fördern, eine „Kunst der religiösen und revolutionären Tendenz“. Mehr zum Jerg-Ratgeb-Preis erfahren sie hier.

Resultat des historischen Gedenkens waren zudem die Herausgabe einer Kulturzeitung mit der Namen „Der Bundschuh“, die Gründung der Brecht-Gruppe und das Mitführen der Bundschuhfahne bei allen Demos und Protestaktionen der Studierenden. Auch der Regenbogen, Symbol Müntzers, wurde gelegentlich verwendet, wie z.B. bei der Beerdigung HAP Grieshabers (s. Fotos).

Brecht-Gruppe Hohenheim 1976
Bundschuhfahne auf Demos dabei
Beerdigung HAP Grieshabers 1981

Weitere Highlights von damals waren die Walzernacht mit Bundschuhfahne auf dem Schloss, die Vergabe des Jerg Ratgeb Preises an Theodor Kempkes, vor allem für sein Bild „Jos Fritz wirbt für den Bundschuh“ und das „Einpacken“ der Thomas Müntzer Scheuer, eine Protestaktion gegen die versuchte Wegnahme des Kommunikationssentrums. Eine ausführliche Darstellung der damaligen Vorgänge mit Zwangsräumung und Anzeigen gegen Studierende lesen Sie auf der Homepage des Asta.

Walzernacht mit Bundschuhfahne auf dem Schloss
Der Unichor führte 1975 die Carmina Burana auf.
14 Jahre vor Christo: Ein Gebäude wird verhüllt…

Aber nicht nur was die Verhüllung von Gebäuden betrifft waren die Hohenheimer Studenten der Zeit voraus, sondern auch mit Kontakten zu Weltpolitikern. So wurde die Ausstellung des Asta zum 30. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg im Mai 1975 auch von Michail Gorbatschow besucht. Nach langen Verhandlungen mit dem damaligen Unipräsidenten durften die Studenten die Ausstellung zwar im Schloss der Universität aufbauen, die Delegation des Obersten Sowjet der Sowjetunion, zu der Gorbatschow gehörte, wollte Präsident Turner aber nicht empfangen. Das hielt er für unter seiner Würde. Gorbatschows Aufstieg erfolgte danach.

Das Bild zeigt Michail Gorbatschow, Agrarbetriebswirt und damals Erster Sekretär für Landwirtschaft beim ZK der KPdSU, mit seinem Übersetzer im Gespräch mit Hohenheimer Agrarstudenten. In der Mitte ein Vertreter des MSB Spartakus, rechts Rainer Zierock, Kulturreferent des Astas der Uni Hohenheim, der die Ausstellung organisierte. Foto: Privatarchiv

Nach oben scrollen